Nutzen der frühen Chemotherapie

Nach einer französisch-belgischen Studie schreitet ein metastasiertes Prostatakarzinom zwar später fort, wenn Docetaxel frühzeitig zusätzlich zur Hormontherapie gegeben wird, Nebenwirkungen sind jedoch häufig.

Prostatakrebs ist meist empfindlich gegenüber einer Hormontherapie (hormon-sensitiv), auch wenn bereits Metastasen vorhanden sind. Deshalb besteht die Standardbehandlung dann nach der derzeit gültigen deutschen Leitlinie in einem künstlichen Entzug der männlichen Geschlechtshormone (Androgene), in der Regel mit Medikamenten. Dies nennt man Androgendeprivationstherapie (ADT). Normalerweise erst dann, wenn der Tumor nicht mehr darauf anspricht, setzt man eine Chemotherapie mit Arzneimitteln wie Docetaxel ein, also beim kastrationsresistenten Prostatakarzinom (CRPC; Näheres s. Hormontherapie beim metastasierten Prostatakarzinom).

In einer französisch-belgischen Studie (sog. GETUG-AFU 15) wurde untersucht, welche Auswirkungen Docetaxel hat, wenn es bereits bei einem metastasierten, aber noch Hormon-empfindlichen Prostatakarzinom zusätzlich zur Hormontherapie gegeben wird, und wie sicher die Anwendung ist (Gravis et al.):

Anlage der Studie

Von 2004 bis 2008 wurden 385 Männer mit einem metastasierten Prostatakarzinom in die Studie eingeschlossen. Eine Vorbehandlung wegen des metastasierten Tumors war erlaubt, einschließlich einer Hormontherapie in Form eines Androgenentzugs (ADT) von höchstens 2 Monaten vor Beginn der Studienteilnahme, nicht aber eine vorherige Chemotherapie. Eine Vorbehandlung wegen eines nicht metastasierten Tumors oder einer alleinigen Erhöhung des PSA-Werts war ebenfalls erlaubt, einschließlich einer ADT und einer Chemotherapie, wobei beide mindestens 1 Jahr zuvor abgeschlossen sein mussten und seither weder Metastasen noch ein PSA-Anstieg aufgetreten sein durften. Patienten mit bestimmten früheren und jetzigen Erkrankungen (z.B. schwere Herzerkrankung), die die Teilnahme gefährden konnten, waren ebenfalls nicht zugelassen.

Die Männer wurden zufällig einer Behandlungsgruppe zugeteilt: 193 von ihnen behandelte man nur mit einer ADT, 192 erhielten eine ADT und zusätzlich eine Chemotherapie mit bis zu 9 Zyklen Docetaxel alle 3 Wochen. Alle Teilnehmer wurden regelmäßig untersucht und bei schweren Nebenwirkungen, bei einem Fortschreiten der Erkrankung oder auf eigenen Wunsch mit den üblichen Methoden weiter behandelt (meist mit einer Chemotherapie, ggf. inkl. Docetaxel).

Ergebnisse der Studie

Während der Nachbeobachtungszeit von im Schnitt 50 Monaten verstarben in beiden Gruppen jeweils 88 Männer (46%); wegen eines Fortschreitens der Krebserkrankung waren es 75 (85%) bei alleinigem Androgenentzug (ADT) bzw. 68 (77%) bei zusätzlicher Gabe von Docetaxel. Daraus errechnete sich eine mittlere Überlebenszeit von 54,2 bzw. 58,9 Monaten (Unterschied statistisch unbedeutend) und eine 3-Jahres-Überlebensrate von 62,9% bzw. 64,2%.

Dagegen kam es bei zusätzlichem Docetaxel im Vergleich zur alleinigen ADT häufiger zu einem PSA-Abfall um mehr als 50% nach 3 Monaten (91% gegenüber 80%) und 6 Monaten (94% gegenüber 85%) sowie seltener zu einem PSA-Anstieg um mehr als 25% nach 6 Monaten (1% gegenüber 10%). Ebenso dauerte es länger bis zu einem PSA-Anstieg (22,9 gegenüber 12,9 Monate), bis zum klinisch erkennbaren Fortschreiten der Erkrankung (23,5 gegenüber 15,4 Monate) und bis zur Folgebehandlung (20,0 gegenüber 15,4 Monate).

Unter den mit Docetaxel Behandelten musste die Dosis bei jedem Zehnten reduziert und bei gut der Hälfte vor Erreichen der geplanten 9 Zyklen abgebrochen werden. Grund für den Abbruch waren bei jedem Fünften Nebenwirkungen, die bei einem Drittel davon schwer ausfielen. Entsprechend schätzten die Männer in dieser Gruppe ihre Lebensqualität geringer ein als die Männer mit alleiniger ADT.

Fazit der Autoren

Im Vergleich zu einer alleinigen ADT kommt es bei einer zusätzlichen Gabe von Docetaxel nicht zu einem deutlich längeren Gesamtüberleben von Männern mit metastasiertem, Hormon-empfindlichem Prostatakrebs. Hingegen dauert es länger bis das PSA ansteigt und die Erkrankung klinisch erkennbar fortschreitet. Warum das Gesamtüberleben nicht verlängert wurde, ist unklar. Eine mögliche Erklärung ist das im Vergleich zu anderen Studien lange Überleben bei alleiniger ADT, dessen Grund ebenfalls unklar ist. Docetaxel kann zu schweren Nebenwirkungen führen, weshalb die Patienten eng überwacht werden sollten. Docetaxel sollte daher bei metastasiertem, Hormon-empfindlichem Prostatakrebs nicht zusätzlich zu der in diesem Fall üblichen ADT gegeben werden.

Stellungnahme deutscher Urologen

Der Arbeitskreis Onkologie (AKO) der Deutschen Gesellschaft für Urologie e.V. (DGU) und die Arbeitsgemeinschaft Urologische Onkologie (AUO) der Deutschen Krebsgesellschaft e.V. (DKG) haben die Ergebnisse dieser Studie sowie die einer 2014 auf einem Kongress vorgestellten ähnlichen Studie bewertet (sog. CHAARTED-Studie, wir berichteten: Frühe Chemotherapie verlängert das Überleben).

Hierzu haben sie eine gemeinsame Stellungnahme abgegeben (Miller et al.). Darin kommen sie zu dem Schluss, dass beide Studien wegen unterschiedlicher Patientengruppen nicht direkt miteinander vergleichbar sind. Auf Basis der (besseren) Ergebnisse der CHAARTED-Studie empfehlen sie (vorläufig), dass Patienten eine kombinierte Chemo- und Hormontherapie angeboten werden kann, bei denen ein metastasiertes, Hormon-empfindliches Prostatakarzinom mit hoher Tumorlast vorliegt (ausgeprägte Metastasen; Definition in unserem Artikel).

Sie weisen außerdem darauf hin, dass Docetaxel für solche Patienten nicht zugelassen ist. Der Einsatz stelle deshalb prinzipiell einen so genannten Off-label-use dar, so dass vorher bei der zuständigen Krankenkasse eine Kostenübernahme einzuholen sei. Eine erneute Bewertung erfolge nach der Veröffentlichung der endgültigen Ergebnisse der CHAARTED-Studie.

Vergleichbarkeit der beiden Studien

Die beiden Studien, die hier vorgestellte GETUG-AFU 15 und die im vorherigen Abschnitt erwähnte CHAARTED (s. unseren Artikel dazu), wurden in einer österreichischen Zeitschrift verglichen (Remzi 1, Remzi 2). Danach könnten die unterschiedlichen Ergebnisse darauf zurückgehen, dass bei GETUG-AFU 15 im Vergleich zu CHAARTED

  • weniger Patienten ein hohes Risiko für ein Fortschreiten der Erkrankung hatten (22% gegenüber 66%),
  • der PSA-Wert im Mittel nur halb so hoch war,
  • mehr Patienten aus der Gruppe mit alleiniger Hormontherapie (ADT) später doch noch Docetaxel erhielten (62% gegenüber 33%) und
  • die Patienten also insgesamt ein geringeres Risiko und eine niedrigere Tumorlast hatten.


Der Autor schloss daraus, dass die frühe Chemotherapie nur Patienten mit hoher, nicht aber solchen mit geringer Tumorlast einen Überlebensvorteil bringt.

 

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