Harninkontinenz

Der unfreiwillige Urinverlust wird in verschiedene Formen eingeteilt und kann zahlreiche Ursachen haben. Entsprechend vielfältig sind Untersuchung und Behandlung.

Die Harninkontinenz gehört zu den Miktionsstörungen und ist durch unwillkürlichen Harnabgang charakterisiert. Das BPS ist eher selten die Ursache einer Harninkontinenz. Meist ist sie Zeichen einer anderen Erkrankung und tritt deutlich häufiger bei Frauen als bei Männern auf. Sie gehört aber auch zu den Krankheitszeichen eines BPS und wird daher hier beschrieben.

Harninkontinenz ist weit verbreitet, nicht nur unter alten Menschen. Vielen Betroffenen ist das Problem peinlich, und sie sprechen erst bei erheblicher Beeinträchtigung ihrer Lebensqualität darüber. Doch neben diesen und anderen sozialen und psychischen Auswirkungen kann die Harninkontinenz auch körperliche Folgen haben (z.B. Harnwegsinfektionen, Nierenschäden).

Einteilung

Nach dem zugrunde liegenden Mechanismus unterscheidet man verschiedene Formen der Harninkontinenz. Die wichtigsten sind:

  • Belastungsinkontinenz (früher: Stressinkontinenz): Urinverlust ohne Harndrang bei Druckerhöhung im Bauchraum. Ursache ist eine Schließmuskel- und oder Beckenbodenschwäche oft durch eine anatomische Veränderung z.B. nach Geburten oder Prostataoperationen, insbesondere Prostatakrebsoperationen. Die Schwere der Belastungsinkontinenz wird folgendermaßen eingeteilt: Grad I z.B. beim Husten, Niesen oder schwerem Heben, Grad II z.B. beim Aufstehen oder im Gehen, Grad III bereits im Liegen.
  • Dranginkontinenz (Urge-Inkontinenz von engl. urge = Drang): Urinverlust bei imperativem (unwiderstehlichem) Harndrang infolge einer Überaktivität der Blasenmuskulatur (z.B. bei Zystitis = Blasenentzündung, Prostatavergrößerung, Blasentumore oder auch ohne direkt erkennbare Ursache). Geht oft mit Pollakisurie und Nykturie einher (häufiges bzw. nächtliches Wasserlassen, s. Miktionsstörungen).
  • Misch-Harninkontinenz: häufig ist die Harninkontinenz eine Mischung aus Belastungs- und Dranginkontinenz.
  • Überlaufinkontinenz (Ischuria paradoxa): Urinverlust bei übervoller, überdehnter Blase infolge einer Obstruktion (Verengung von Blasenhals oder Harnröhre, z.B. durch die Prostata, s. auch Miktionsstörungen). Auch als falsche Harninkontinenz bezeichnet, weil der Überdruck die Schließmuskeln aufdrückt; weder sind sie zu schwach, noch sind die Kontraktionen der Blase für sie zu stark.
  • Neurogene Harninkontinenz: Urinverlust infolge einer Störung des zentralen oder peripheren Nervensystems (Gehirn, Rückenmark, Nerven zur Harnblase).

Ursachen

Die Ursachen der verschiedenen Formen der Harninkontinenz sind sehr zahlreich. Oft liegen sie im Bereich von Harnblase und Prostata oder gehen auf die Einnahme von Medikamenten zurück. Bei Belastungsinkontinenz findet sich häufig nur eine Schwäche der Beckenbodenmuskulatur.

Entzündungen der Prostata können das Wasserlassen stören, wobei obstruktive Zeichen (s. Miktionsstörungen) infolge der entzündungsbedingten Schwellung der Prostata überwiegen. Bei Mitbeteiligung der Harnblase ist auch eine Dranginkontinenz möglich (s. hierzu auch akute Prostatitis, chronische Prostatitis und chronisches Beckenschmerzsyndrom.

Beim benignen Prostatasyndrom wird die Harnröhre im Verlauf immer weiter eingeengt. Deshalb kommt es zunächst ebenfalls zu obstruktiven Miktionsstörungen. Später können eine Drang- und Überlaufinkontinenz auftreten. Näheres siehe Zeichen und Komplikationen des BPS.

Nach Prostataoperationen wegen BPS sollte die Belastungsinkontinenz nur als eine sehr seltene Komplikation auftreten. Die Wunde, die durch die Operation entsteht, reizt den unteren Harntrakt und führt oft zu einer Dranginkontinenz, die in der Regel einige Zeit nach der Operation wieder verschwindet. Die radikale Prostatektomie (komplette Entfernung der Prostata) als Behandlung von Prostatakarzinomen schwächt den Harnblasenverschluss. Die Prostata leistet nämlich einen wichtigen Beitrag zur Harnkontinenz. Selten tritt nach der Operation eine schwere Belastungsinkontinenz auf. Häufiger ist eine Inkontinenz Grad I, die sich aber mit der Zeit oft bessert. Auch nach einer Bestrahlung der Prostata kann eine Dranginkontinenz durch Reizung des Gewebes eine mögliche Folge sein.

Neurogene Erkrankungen oder Missbildungen stören oft das komplizierte Zusammenspiel von Blasen- und Schließmuskel, woraus eine Inkontinenz resultieren kann.

Untersuchung

Wegen der unterschiedlichen Behandlung zielt der Untersuchungsgang bei Harninkontinenz darauf ab, zunächst deren Form zu bestimmen und dann eine Ursache zu finden. Der erste Schritt ist das ausführliche Erheben der Anamnese (Vorgeschichte, z.B. Anzahl der pro Tag benötigten Vorlagen, Trinkverhalten, besonders Kaffee, Tee, Alkohol etc.). Standardisierte Fragebogen (z.B. der ICIQ-SF) und das Führen eines Miktionstagebuchs (genaue Trinkmenge und -zeiten, Anzahl, Zeit und Urinmenge der Miktionen) sind hilfreich.

Es folgen die körperliche Untersuchung, bei Männern einschließlich einer DRU (s. digitale rektale Untersuchung), sowie eventuell ein Pad-Test , wobei eine Vorlage vor und nach einem festgelegten Übungsprogramm zur Bestimmung des Urinverlusts gewogen wird (Grad 1: bis 2ml, Grad 2: 2-10ml, Grad 3: 10-50ml, Grad 4: mehr als 50ml). Urinuntersuchungen dienen vor allem dem Ausschluss einer Infektion und einer Hämaturie (Blutbeimengung zum Urin), und mittels Sonographie (Ultraschalluntersuchung) wird insbesondere die Restharnmenge bestimmt (Urinmenge in der Harnblase nach dem Wasserlassen).

Weitergehende Untersuchungen sind nur in speziellen Fällen erforderlich, zum Beispiel eine Urethrozystoskopie (Spiegelung von Harnröhre und Harnblase), eine Miktionszystourethrographie (Röntgendarstellung von Harnblase und Harnröhre beim Wasserlassen) und urodynamische Methoden wie Uroflowmetrie (Harnflussmessung, s. Urinuntersuchungen), Zystometrie ("Blasenmessung"), Urethra-Druckprofil (im Verlauf der Harnröhre) und Druck-Fluss-Messung.

Behandlung

Die Therapie der Harninkontinenz richtet sich zunächst gegen deren Ursache, also gegen eine zugrunde liegende Erkrankung oder den Auslöser (z.B. ein Harnwegsinfekt). Falls eine solche kausale (ursächliche) Therapie nicht möglich ist, stehen verschiedene symptomatische (gegen die Krankheitszeichen gerichtete) Maßnahmen zur Verfügung.

In Abhängigkeit von der Form der Harninkontinenz gibt es eine Vielzahl von Therapieoptionen. Oft werden diese stufenweise oder auch kombiniert eingesetzt. Beispiele sind:

  • Veränderungen der Lebensgewohnheiten (z.B. Trinken, Wasserlassen, Gewichtsabnahme)
  • Muskeltraining (Blase, Beckenboden)
  • aufsaugende Hilfsmittel (z.B. Vorlagen)
  • medikamentöse Beeinflussung der beteiligten Muskelabschnitte (z.B. durch Muskarinrezeptorantagonisten oder Beta 3-Rezeptoragonisten)
  • operative Eingriffe
  • ableitende Hilfsmittel, z.B. Kondomurinale, Katheter.

Bei Belastungsinkontinenz nach radikaler Prostatektomie z.B. steht das Beckenbodentraining an erster Stelle. Dieses wird ggf. mit Medikamenten kombiniert. An letzter Stelle besteht dann die Möglichkeit einer Operation.

Weitere Informationen

Näheres über den Beckenboden und Übungen zu dessen Kräftigung finden Sie in der Rubrik „Leben mit Prostatakrebs“ unter Grundlagen Beckenbodentraining.

Bücher zum Thema finden Sie zum Beispiel über die Suche im Buchkatalog oder auf der Buchliste der Deutschen Kontinenz Gesellschaft, ein Buchbeispiel:

Michaelis, Ute: Beckenbodentraining für Männer. Harninkontinenz und Erektionsstörungen mindern und überwinden. 2. Aufl., 162 S., Urban & Fischer, München 2006, ISBN 3-437-45187-1

Weiterhin gibt es zahlreiche Vereine und Selbsthilfegruppen sowie eine Fülle von Informationen über die verschiedenen Formen der Harninkontinenz und ihre Behandlung, auch im Internet. Als erste Anlaufstellen könnten zum Beispiel dienen die Deutsche Kontinenz Gesellschaft e.V., die Inkontinenz Selbsthilfe e.V. und die Medizinische Kontinenzgesellschaft Österreich (MKÖ).