Protonen-Tumortherapie: Neues Berechnungsverfahren schont gesundes Gewebe

Mithilfe einer neuartigen Strahlungsplanung für die Protonentherapie soll eine deutlich präzisere Behandlung von Tumoren, etwa der Prostata oder des Gehirns, möglich sein. Seit 23.04.2019 wird diese Methode am Universitätsklinikum Dresden eingesetzt.

Das Berechnungsverfahren wurde von Medizinphysikern des Dresdner OncoRay-Zentrums, des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf sowie des in Heidelberg ansässigen Deutschen Krebsforschungszentrums entwickelt und validiert. Gemeinsam mit Radioonkologen wurden dessen klinische Vorteile untersucht. Mit der “DirectSPR“ genannten Methode lässt sich nach Angaben des Klinikums die Protonenreichweite im menschlichen Gewebe viel genauer und für jeden Patienten individueller vorhersagen. Die Dresdner Forscher konnten zeigen, dass sich damit das Volumen des unmittelbar am Tumor gelegenen, mitbestrahlten gesunden Gewebes um 35 bis 40 Prozent reduzieren lässt.

Bestrahlung mit Protonen und das Problem der Reichweiteunsicherheit

Protonen besitzen für die Krebstherapie besonders günstige Eigenschaften, da sie einen Großteil ihrer Energie genau in dem Moment ihres Stoppens im Körper entfalten. Dank dieser Eigenschaft lässt sich vor allem das gesunde Gewebe besser schonen. Allerdings stehen die Medizinphysiker vor der Herausforderung, die bremsende Wirkung der unterschiedlichen Gewebearten zu ermitteln, die die Protonen auf dem Weg zum Tumor durchdringen. Dazu nutzen sie bisher meist die Aufnahmen eines herkömmlichen Computertomographen (CT), die sich aus zahlreichen Schnittbildern zusammensetzen. Da sich die Röntgenstrahlung des CTs im menschlichen Gewebe aber anders verhält, als die zur Bestrahlung eingesetzten Teilchen, lässt sich das Bremsverhalten der Protonen und damit ihre Gesamtreichweite nur mit begrenzter Genauigkeit vorhersagen. Aus diesem Grund muss ein Sicherheitssaum aus gesundem Gewebe um den Tumor mitbestrahlt werden, um sicherzustellen, dass das Krebsgewebe trotz dieser Unsicherheit vollständig bestrahlt wird. Dieser Saum beträgt bisher beispielsweise bei einem Tumor der Prostata bis zu 12 Millimeter. Dieses Konzept der Berücksichtigung der Reichweiteunsicherheit in der Protonentherapie ist seit den 1980er-Jahren weltweit Standard. Auch die Größe der Sicherheitssäume blieb seitdem praktisch unverändert.

Präzisere Berechnung durch doppelte CT

Mit der Nutzung der eigentlich für die radiologische Diagnostik entwickelten Dual-Energy-Computertomographie (DECT), bekommen Medizinphysiker deutlich aufschlussreichere Daten, um die Bestrahlungen mit Protonen zu planen. „Die Reichweite der Protonen war bislang im Patienten nur mit einigen Millimetern Unsicherheit vorhersagbar“, erklärt Dr. Christian Richter, Leiter der Forschungsgruppe „Hochpräzisionsstrahlentherapie“ am Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR), das neben dem Universitätsklinikum Dresden und der Technischen Universität Dresden zu den drei Trägern des OncoRay-Zentrums gehört. „Uns fehlte bisher eine Technologie, um die individuellen Parameter zu ermitteln, die für die Protonenbremsung in unterschiedlichen Geweben wichtig sind. Mit dem DirectSPR-Verfahren (SPR: Stopping Power Ratio), das auf der DECT basiert, können wir das viel genauer. Jetzt können wir Unterschiede in der Gewebezusammensetzung in verschiedenen Patienten, aber auch in unterschiedlichen Geweben im selben Patienten viel besser auflösen und bei der Planung berücksichtigen. Damit wird die Bestrahlung präziser, schonender und individueller.“

Das DECT-Verfahren liefert für die Bestrahlungsplanung jeweils zwei CT-Aufnahmen, die mit unterschiedlichen Röntgenenergien erzeugt werden. Daraus lassen sich deutlich mehr Informationen über das Gewebe ableiten als bei der bisherigen Standardmethode zur Berechnung der Reichweite des Protonenstrahls. Dennoch werden die Patienten beim DECT-Verfahren keiner höheren Dosis an Röntgenstrahlen ausgesetzt. Der Unterschied besteht lediglich darin, dass sie zweimal bei jeweils niedrigeren Röntgendosen durch den Computertomographen geschoben werden.

Präzisionsgewinn von 4-8 mm

Die Dresdner Forscher konnten auch belegen, dass der Vorteil zur bisherigen Reichweite- und Dosisberechnung nicht nur in der Theorie besteht, sondern dass er klinisch hochrelevant ist. „Wir haben gesehen, dass das umfassend validierte DirectSPR-Verfahren für tiefliegende Tumore eine um vier bis acht Millimeter präzisere Protonenreichweite berechnet als das bisherige Standardverfahren. In dem Moment war uns die hohe klinische Bedeutung dieser Innovation sofort klar“, so Prof. Esther Troost, Direktorin der Klinik und Poliklinik für Strahlentherapie und Radioonkologie des Universitätsklinikums Dresden und Leiterin der Forschungsgruppe „Bildgestützte Hochpräzisionsstrahlentherapie“ am Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf.

„Die Ergebnisse der Studien sind so eindeutig, dass wir unsere Patienten schnellstmöglich davon profitieren lassen wollten. Die Verringerung des Bestrahlungsvolumens, etwa im Gehirn, ermöglicht uns eine noch bessere Schonung wichtiger Nervenstrukturen, wie des Hirnstamms oder der Sehnerven. So reduzieren wir Nebenwirkungen und machen die Protonentherapie für jeden einzelnen Patienten noch schonender“, ergänzt Prof. Mechthild Krause, ebenfalls Direktorin der Klinik für Strahlentherapie und Radioonkologie des Universitätsklinikums Dresden sowie Direktorin des OncoRay-Zentrums. Konkret bedeutet dies bei der Bestrahlung von Prostatatumoren eine Reduktion des Sicherheitssaumes um rund 35 Prozent, im Gehirn sogar um bis zu 40 Prozent.

Bereits 2015 wurde der dafür erforderliche Berechnungsalgorithmus von den Heidelberger und Dresdner Forschern entwickelt und optimiert. Mit DirectSPR lässt sich die relative Elektronendichte und die effektive Kernladungszahl individuell in jedem Bildpunkt bestimmen. Daraus wird dann das Bremsvermögen des Gewebes, die SPR berechnet. Diese Größe gibt den Energieverlust der Protonen pro Wegstrecke relativ zum Energieverlust in Wasser an.

(Universität Dresden / ms)

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