Diagnose Prostatakarzinom - Leben danach!

Aus ihrer ganz persönlichen Sicht schreibt die Frau eines an Prostatakarzinom erkrankten Mannes über ein immer noch tabuisiertes Thema: Das Sexualleben in der Partnerschaft nach der Krebsoperation. Damit möchte sie allen Betroffenen, also Männern und Frauen Mut machen.

Diagnose Prostatakarzinom. Diese Aussage zu hören, egal wie behutsam vorgetragen oder welche mildernden Erläuterungen danach folgen, fühlt sich an wie ein Todesurteil. Ein Schock, dessen Schrecken man mit nüchternen Recherchen und überlegenem Wissen in den Griff zu bekommen versucht. So jedenfalls agierte ich als Partnerin nach der ersten Betäubung.

Nachdem für uns als Paar alles überstanden war und der positive Ausgang so viele Veränderungen zur Folge hatte, war es mir ein Anliegen, einen kurzen und, wie ich hoffe, Mut machenden Erfahrungsbericht zu verfassen:

Schon während der Vorgespräche mit unserem Urologen, nachdem die Entscheidung für eine Operation bereits gefallen ist, kristallisieren sich zwei postoperative „Drohgespenster“ als unabänderlich heraus: Inkontinenz und Impotenz. Nicht einschätzbar, so sagt man uns, sind Grad und Dauer der jeweiligen Behinderungen, weil in jedem Genesungsprozess anders. Doch haben in diesem Stadium die Krebsbekämpfung, den lebensbedrohlichen Tumor zu entfernen, und die Hoffnung auf Nicht- Metastasenbildung oberste Priorität. Die Gedanken an die Zeiten nach der Operation sind sekundär.

Als bei meinem damals 51-jährigen Mann alles optimal verläuft, der Tumor verkapselt und der Eingriff nach Aussagen des Chirurgen so nervenschonend wie möglich erfolgt war, ist die Dankbarkeit unsagbar groß. Grenzenlose Erleichterung, Triumph und Freude mischen sich.

Erst viel später, gegen Ende der Reha-Phase, wage ich es, unser zukünftiges Sexualleben zu thematisieren, sehr zaghaft und wohl wissend um die Brisanz des Themas. Zu diesem Zeitpunkt hat mein Mann auch nicht nur ansatzweise eine Vorstellung davon oder gar Ambitionen in dieser Hinsicht. Im Gegenteil, der Bereich ist für ihn angstbesetzt und ein nicht trittsicheres Gelände.

An dieser Stelle ist der Mut und die Einsatzbereitschaft des Partners in hohem Maße gefragt. Aufklärung seitens der Ärzteschaft oder im Zuge der Rehamaßnahmen gibt es natürlich. Trotzdem bleiben diese Informationen unzureichend, denn eine Rezeptur für eine bannbrechende Wiederaufnahme der individuellen sexuellen Beziehung kann auch der beste Arzt nicht mit auf den Weg geben. Zumal dieser sensible, gesellschaftlich weitgehend tabuisierte Bereich auch für Ärzte nicht einfach zu handhaben ist. Bei allem Bemühen um Offenheit und Hilfestellungen merkt man recht schnell, dass die sozialpsychologische Komponente auch hier sehr vernachlässigt wird und innovative Selbsthilfe dringend erforderlich ist. Also gilt es, eigene Strategien zu entwickeln, mit Liebe, Feingefühl und Kreativität in die Offensive zu gehen.

Die vom Urologen vorgestellten Mittel zur Potenzverstärkung in Form von Tabletten, Spritzen o.ä. sind Begleitmaßnahmen, die durchaus wirksam sind. Allerdings ist eine Enttäuschung vorprogrammiert, sollte man sich auf die solitäre Wirkung dieser Präparate verlassen.

Dies ist eine der Lebenssituationen, die deutlich macht, dass wir Menschen komplexe Wesen sind, Körper und Psyche in einem untrennbaren Einklang miteinander stehen. Die Mittel wirken wie eine Gehhilfe, laufen muss man jedoch selbst. Nur die mentale Stimulanz des Mannes, gekoppelt mit einem hohen Maß an Vertrauen in Partner und Beziehung, ist maßgeblich, um Wirksamkeit zu erzielen.

Wir haben entdecken dürfen, wie belebend, bereichernd und nicht zuletzt erotisierend es für eine Beziehung sein kann, sich unter völlig anderen Vorzeichen sexuell neu zu orientieren. Weibliche Sexualität erschöpft sich nicht in der Penetration des Mannes, sondern hat unzählige andere Facetten. Sehr aufregend war herauszufinden, dass die Erlebnis- und Genussfähigkeit meines Mannes nicht etwa verschwunden, sondern präsent und mit zunehmenden Abstand zur Operation steigerungsfähig war.

Dabei ist die Erektionsfähigkeit nicht zwingend Voraussetzung und auch nicht ausschlaggebend für das Erleben des Höhepunktes. Unsere gegenteilige Erfahrung ist, dass durch die Kompensation der erektilen Dysfunktion mentale Prozesse in Gang gesetzt wurden, die eine potenzierte Lust- und Orgasmusfähigkeit bewirken.

Potenz wird in den Köpfen der meisten Menschen mit Erektion, die möglichst lange andauernd den befriedigenden sexuellen Austausch mit dem Partner ermöglichen soll, gleichgesetzt. Natürlich ist durch die Prägung und in der Denkstruktur verankert eine psychische Identifikation des Mannes mit dem Erektionsvermögen vorhanden. Folglich kann sich leicht das Entstehen eines Versagenskomplexes bei längerem Nichtvermögen ergeben.

Die Bekämpfung dieser Problematik gelingt durch das kreative Miteinander, durch wiederholtes Darstellen des Partners, dass Potenz sich nicht auf einen erigierten Penis reduziert, sondern vielmehr bestehen kann aus: Einfühlungsvermögen, Zärtlichkeit, Verständnis und Eingehen auf die spezifischen sexuellen Bedürfnisse des Partners.

Ich glaube, dass genau in dieser Situation eine große Chance verborgen liegt, wie so oft Krankheit und das Überstehen derselbigen neue Erkenntnisse, andere Blickwinkel und Wertschätzungen hervorrufen kann. Diese Chance wahrzunehmen, verleiht der eigenen Persönlichkeit und der Partnerschaft wunderbare neue Aspekte und Dimensionen.

Das Gefühl nach der Diagnose, sich plötzlich auf einer einsamen Insel wiederzufinden, herausgerissen aus dem pulsierenden Leben, bekommt eine positive Wendung. Man ist zu zweit auf der Insel, genießt die Besonderheit dieser neuen Zweisamkeit, der Zugang zum Festland ist aber jederzeit gewährleistet.

Sicherlich ist es nicht möglich, pauschal jeden Krankheitsverlauf einzustufen und allgemeingültige Ratschläge zu erteilen. Sich aber auf die Herausforderung einzulassen, neue Pfade zu beschreiten, ohne Scheu andere Praktiken phantasievoll auszuprobieren, kann der Beziehung ganz neue, aufregende Impulse und einen erfüllenden Zusammenhalt geben.

* Name von der Redaktion geändert. Wenn Sie Kontakt mit der Autorin aufnehmen wollen, schicken Sie uns eine E-Mail. Wir leiten sie gerne weiter.

Weitere Informationen finden Sie im Artikel „Die optimale Rehabilitation“, den Sie auch als PDF herunterladen können, um ihn auszudrucken und in Ruhe zu lesen.

 

Karin S.* (08.02.2006)

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