Botulinustoxin bei Prostataerkrankungen

Die medizinische Anwendung dieser giftigsten natürlichen Substanz wurde auf dem deutschen Urologenkongress 2007 vorgestellt, insbesondere die jüngsten Entwicklungen beim Einsatz des Bakteriengifts an der Prostata.

Botulinustoxine (von lat. botulus = Wurst, Toxin = Gift) werden von dem Bakterium Clostridium botulinum gebildet und zur „Selbstverteidigung“ in die Umgebung abgegeben. Man unterscheidet sieben Typen (A bis G), fünf davon (alle außer C und D) sind für den Menschen höchst gefährlich, das wirksamste natürlich vorkommende Gift: Schon weniger als ein millionstel Gramm kann tödlich sein. Es kann in verunreinigten Lebensmitteln entstehen (z.B. in Wurst, Fleisch, Gemüse), wird aber durch Erhitzen zerstört (z.B. beim Kochen in etwa 10 Minuten).

Zur Vergiftung kommt es meist durch die Zufuhr von ungenügend erhitzten Speisen, also durch eine bakterielle Lebensmittelvergiftung. Sie wird Botulismus („Wurstvergiftung“) genannt und ist heutzutage selten. Nach Stunden bis wenigen Tagen treten vor allem Lähmungen auf (z.B. Doppeltsehen, Sprechstörungen, Schluckbeschwerden, Atemnot), ausgelöst durch eine anhaltende Beeinträchtigung von Nervenfasern. Wegen dieser Wirkung spricht man auch von Botulinusneurotoxin (BoNT).

Nutzung von Botulinustoxin zur Behandlung

Seit mehr als 20 Jahren macht man sich in der Medizin die Wirkung von Botulinusneurotoxin zunutze, besonders des Typs A (BoNT/A). Es wird in extremer Verdünnung verwendet, vor allem um verkrampfte Muskeln zu lähmen (z.B. bei Schiefhals) oder die übermäßige Absonderung von Körperflüssigkeiten einzudämmen (z.B. bei krankhaftem Schwitzen); diese Effekte halten monatelang an. Am bekanntesten ist aber sicher der Einsatz im Gesicht als „Faltenkiller“.

Erst seit wenigen Jahren werden die Verwendungsmöglichkeiten in der Urologie erforscht. Eine Zulassung gibt es allerdings noch nicht, auch nicht bei Prostataerkrankungen. Am wahrscheinlichsten erfolgt sie demnächst bei überaktiver Harnblase, einer Form der Blasenentleerungsstörung, bei der die Überaktivität des Blasenmuskels zum unwillkürlichen Urinverlust führt (s. auch Harninkontinenz).

Botulinustoxin beim BPS

Die Anwendung von Botulinusneurotoxin beim benignen Prostatasyndrom (BPS, gutartige Prostatavergrößerung) hat in den letzten Monaten Schlagzeilen gemacht: „Spritzen statt Schneiden“ und „Injektion statt Operation“ verheißen, es handele sich um eine echte Alternative. Ganz so ist es aber nicht, zumindest noch nicht:

Beim BPS kommt es wegen der Vergrößerung der Prostata zu einer Einengung (Obstruktion) der Harnröhre, so dass zum Beispiel der Harnstrahl abgeschwächt wird und die Harnblase nicht mehr vollständig entleert werden kann (Restharn; s. auch Zeichen und Komplikationen des BPS). Spritzt man nun Botulinusneurotoxin direkt in die Prostata, so steigt bei den meisten Männern die maximale Harnflussrate, während die Beschwerden (gemessen als IPSS-Wert) und die Restharnmenge zurückgehen sowie das Prostatavolumen und damit auch der PSA-Wert sinken (s. auch Untersuchung beim BPS und PSA-Wert Bestimmung).

Das Einspritzen ist unkompliziert und geschieht in der Regel in örtlicher Betäubung unter Ultraschallkontrolle vom Damm aus (transperineal), durch die Harnröhre (transurethral) oder durch den Mastdarm (transrektal). Die Wirkung zeigt sich nach ein bis vier Wochen und hält bis zu einem Jahr an. Unerwünschte Wirkungen wurden noch nicht beobachtet, auch keine Harninkontinenz (unwillkürlicher Urinverlust) oder erektile Dysfunktion („Impotenz“).

Wie die Wirkung genau zustande kommt, konnte in den wenigen, bislang vorhandenen Studien noch nicht geklärt werden. Die Verkleinerung der Prostata geht auf eine Atrophie (Rückbildung) des Gewebes zurück, in vielen, aber nicht allen Fällen auch auf die Einleitung des programmierten Zelltods (Apoptose). Die Verbesserung der Beschwerden und Befunde scheint davon unabhängig zu sein.

Zudem sind noch zahlreiche wichtige Fragen offen, zum Beispiel: Bei welchen Patienten kommt die Methode überhaupt infrage? Wie beeinflusst der PSA-Abfall den Nutzen des PSA bei der Krebsfrüherkennung? Welche Auswirkung hat die Gewebeveränderung auf das Erkennen von Prostatakrebs bei einer möglichen Biopsie? Gehen diese Veränderungen wieder vollständig zurück? Nach welcher Zeit ist eine Wiederholung der Botulinustoxin-Gabe nötig? Wie oft kann die Injektion wiederholt werden?

Diese Fragen müssen in künftigen, größeren Studien beantwortet werden. Die bisherigen Ergebnisse machen jedoch Hoffnung. Danach scheint die Injektion von Botulinusneurotoxin in die Prostata beim BPS eine einfache, schonende und wirksame (aber auch teure) Methode zu sein. Sie könnte vor allem in Betracht kommen, wenn eine operative Behandlung aufgeschoben werden soll oder nicht erwünscht oder nicht möglich ist (s. auch Operationsverfahren zur BPS-Behandlung).

Botulinustoxin bei Prostatitis

Untersucht wurde bislang nur der Einsatz von Botulinustoxin bei chronischer abakterieller Prostatitis (nicht von Krankheitskeimen verursachte Prostataentzündung, s. chronisches Beckenschmerzsyndrom). Hierzu gibt es erste Studien, allerdings mit zum Teil kleiner Fallzahl und widersprüchlichen Ergebnissen. Deshalb bleiben weitere Untersuchungen abzuwarten, bevor eine Beurteilung möglich ist.

Fazit

Botulinusneurotoxin ist in der Urologie noch nicht zugelassen. Studien zu seinem Einsatz bei Prostatitis stehen noch am Anfang. Hingegen gilt seine Anwendung beim BPS als viel versprechend und innovativ: Als minimal invasives (wenig eingreifendes) Verfahren könnte es künftig helfen, eine Operation aufzuschieben oder gar zu vermeiden. Bis zum Abschluss größerer Studien und dem Vorliegen von Langzeitergebnissen ist jedoch - wie immer bei neuen Methoden - Vorsicht angebracht.

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